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BAG 14.3.2019 – 6 AZR 4/18: Einordnung einer durch Auflösungsurteil zuerkannten Abfindung als Masseforderung

Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers stellt sich häufig die Frage, welche Rechtsqualität und damit Werthaltigkeit die noch offenen Forderungen des Arbeitnehmers haben. Soweit die Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers insolvenzgeldfähig sind, was für normale Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers aus letzten 3 Monaten des Bestandes des Arbeitsverhältnisses vor der Insolvenzeröffnung zu bejahen ist, erleidet der Arbeitnehmer keinen Ausfall. Ansonsten kommt es entscheidend darauf an, ob die Forderung des Arbeitnehmers aus der Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahren stammt oder danach. Im ersteren Fall hat der Arbeitnehmer eine Insolvenzforderung, die er zur Insolvenztabelle anmelden muss. Meistens ist die Forderung wertlos, statistisch kann mit einer Ausschüttungsquote von etwa 5 % gerechnet werden. Stammt die Forderung dagegen aus der Zeit nach Insolvenzeröffnung, liegt eine so genannte Masseforderung vor, die der Insolvenzverwalter grundsätzlich voll erfüllen muss. Lediglich wenn der Insolvenzverwalter sog. Masseunzulänglichkeit angezeigt, erhält der Arbeitnehmer auch auf die Masseforderung nur eine Quote.


Das BAG hat im Urteil vom 14.3.2019 darüber entschieden, wie eine durch Auflösungsurteil gemäß §§ 9, 10 KSchG zuerkannte Abfindung zu beurteilen ist. Diese Form der Abfindung ist einer der wenigen gesetzlichen Ansprüche auf Zahlung einer Abfindung. Das Gericht gibt einem Auflösungsantrag dann statt, wenn die Kündigung unwirksam ist und wenn der antragstellenden Seite – hier dem Arbeitnehmer – die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund bestimmter Vorkommnisse nicht zuzumuten ist. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2014 kündigte der Arbeitgeber einem leitenden Angestellten fristgemäß zum 15. Januar 2015. Während des erstinstanzlichen Kündigungsschutzverfahrens beantragte der Arbeitgeber formlos per Anwaltsschriftsatz die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Nach Eröffnung des insolvenzverfahrens am 1. April 2015 nahm der Arbeitnehmer das zwischenzeitlich unterbrochene Verfahren gegen den zum Insolvenzverwalter bestellten Beklagten auf. Dieser erklärte mit Schriftsatz vom 8.4.2016, an dem Auflösungsantrag festhalten zu wollen. Das Arbeitsgericht löste das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von gut 1500 € auf und entschied gleichzeitig, es handele sich um eine Insolvenzforderung. Das Landesarbeitsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Das BAG hob die Entscheidungen auf und argumentierte folgendermaßen:
Bei einer durch Auflösungsurteil zuerkannten Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG kommt es darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Grundlage für den Abfindungsanspruch geschaffen worden ist. Eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 S. 1 InsO liegt immer dann vor, wenn der Verwalter das durch § 9 Abs. 1 KSchG eingeräumte Gestaltungsrecht selbst ausübt, indem er erstmals den Auflösungsantrag stellt oder diesen erstmals prozessual wirksam in den Prozess einführt. Um eine bloße Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO handelt es sich demgegenüber, wenn der Verwalter lediglich den von ihm vorgefundenen, bereits rechtshängigen Antrag des Schuldners weiterverfolgt und an dem so schon von diesem gelegten Rechtsgrund festhält. Der Clou im entschiedenen Fall lag darin, dass der Arbeitgeber im erstinstanzlichen Verfahren keinen prozessual gültigen Auflösungsantrag gestellt hatte. Der Insolvenzverwalter wollte – wohl in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – an dem Auflösungsantrag nur „festhalten“, also nicht selbst einen Antrag stellen. Das funktionierte nicht, weil eben erst der Verwalter den ersten  prozessual gültigen Auflösungsantrag gestellt hatte.


Die Entscheidung des BAG liegt ganz auf der Linie der ständigen Rechtsprechung. Nachfolgend stelle ich die Einordnung von sonstigen Abfindungsansprüchen dar:
Individual- oder kollektivrechtliche Abfindungen bzw. Abfindungsklauseln, die zwischen dem Schuldner und Arbeitnehmern bzw. zwischen dem Schuldner und dem Betriebsrat oder der Gewerkschaft vor Eröffnung vereinbart werden, beruhen nicht auf einer Handlung des Verwalters i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Es handelt sich um Insolvenzforderungen, deren Grund schon vor Eröffnung gelegt worden ist. Auch wenn der Anspruch regelmäßig erst mit Kündigung oder Ausscheiden des Arbeitnehmers – und damit ggfls. erst nach Eröffnung – entsteht oder fällig wird, wurde lediglich eine aufschiebend bedingte Insolvenzforderung gem. § 38 InsO begründet. Der „Schuldrechtsorganismus“ besteht in diesen Fällen insolvenzrechtlich betrachtet vor Verfahrenseröffnung. 


Diese Grundsätze gelten auch für Abfindungsansprüche aus einem Sozialplan. Es kommt also darauf an, ob der Plan vor oder nach Eröffnung aufgestellt wurde. Wurde er vor Eröffnung aufgestellt, wird der Abfindungsanspruch nicht dadurch zur Masseforderung, weil es der Verwalter unterlassen hat, den Plan gemäß § 124 InsO zu widerrufen oder weil die Kündigung erst nach Eröffnung ausgesprochen wurde.


Auch für gerichtlich abgeschlossene Abfindungsvergleiche gelten die obigen Abgrenzungskriterien. Offen gelassen hat das BAG bislang die Frage, ob eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dann vorliegt, wenn der Verwalter es schlicht unterlässt, einen noch vom Schuldner geschlossenen Abfindungsvergleich zu widerrufen.


Spricht noch der Schuldner vor Eröffnung eine Kündigung nach § 1 a Abs. 1 KSchG aus, liegt eine Insolvenzforderung vor, auch wenn das Arbeitsverhältnis erst nach Eröffnung endet bzw. die Klagefrist abläuft.